Auszüge aus einem Gespräch von Prof. Wilhelm Kufferath von Kendenich mit Alexander Zakharov
(aus: Kunst kommt von nicht anders können, G. Maecenas Verlag Zug, 1996)

Die meisten Kunstbetrachter möchten über den Künstler etwas Geschriebenes oder zumindest einige Erklärungen, es sei dann leichter für sie, in das Bild 'einzusteigen'.

Interpretation ist die Rache des Mittelmäßigen am Genie (Susan Sontag)

Statt zu interpretieren die Bilder wirken lassen oder dem Künstler zuhören, das dürfte der 'angemessenere' Weg sein. Erklärungen sollten nur Raum haben, so weit sie die technische Seite des Kunstwerkes und das historische oder gegenwärtige Umfeld des Künstlers und seiner Arbeit betreffen.

“Wenn Sie meine Arbeiten betrachten, dann sehen Sie darin treppenartige Veränderungen, plötzlich kommt etwas Neues, das nicht mehr im direkten Zusammenhang mit dem Bisherigen steht. Ich steige Schritt für Schritt in eine Malweise, in ein Thema ein, ich fühle, wie es sich entwickelt, wie es immer weitergeht, aufwärts, wie ich besser und besser mit dem Thema zurechtkomme. Auf einmal stellt sich das Gefühl eines Höhepunktes ein, ich merke, daß von da an mein Interesse nachläßt, und ich weiß, daß ich nun aufhören muß, daß ich etwas Neues suchen muß.”

Kunst kommt von nicht anders können (G. Brus)

“Ich male an einem Bild, ich male immer weiter, ich unterbreche nicht, um ein anderes weiterzumalen, es gibt da kein anderes, das Bild muß fertig sein, dann ist es auch in mir fertig. ... Malen, das ist etwas, das aus mir herauskommt, ich bin ein Werkzeug, wie Pinsel, Spachtel, Schaber, Ritzer sind auch meine Arme Werkzeug. Warum ich male? Fragen Sie nicht, ich weiß es nicht, es malt mich, ich muß malen. Es macht mich malend, es wird in mir gemalt, so malt es mich! ”

Malen hat mit Wut und Besessenheit zu tun, mit Ungeduld und Weiterdrängen, mit Unaufhaltbarkeit und Zwang.

“Der Anfang, das sind immer ein paar Striche, ein paar Linien, daraus entwickelt sich dann etwas. Wenn ich male, dann malt es Menschen und Tiere, und auch Engel. Aber ich habe deswegen keine besondere Beziehung zu Menschen und auch nicht zu Tieren. Und religiös bin ich auch nicht, ich bin nicht gläubig. Dennoch kommen Engel hervor.”

Das Künstlerische in der Kunst beginnt und vollendet sich immer ohne Plan. Weil der Künstler das Ergebnis nicht kennt, kennt er auch keinen Plan.

“Begonnen hat alles einmal mit Landschaften, aus denen wurden dann stilisierte Landschaften, daraus Landschaften, wie soll ich sagen, in Stilleben-Manier, und dann Stilleben ohne Landschaften. Bildelemente in den Stilleben wie Stäbe oder so. Ich sehe die Tuben meiner Farben, sie sind vom Ausquetschen der Farben flachgedrückt, oben aber bleiben sie rund. Und die Verschlußkappe, das sieht aus wie ein Kopf auf Schultern. Die Tuben, sie kamen mir plötzlich so 'alive' vor. Es wurden unter meiner Hand menschliche Gestalten daraus. Keine Menschen, keine bestimmten Menschen, keine bestimmte Person, ich male keine Portraits, ich könnte es, habe zwar nicht viel $Uuml;bung, aber ich mache es nicht, weil mein Arm es nicht macht. Und zu den Menschen, zu den Umriß-Fläche-Menschen, gesellt sich anderes, Tiere, Engel, Boote.”

Archaische Formen treten da auf, mit einer Stärke und Kraft, die wir als Kraft des Unverbrauchten empfinden. Große Ikonen stehen da vor uns. Archetypische Strukturen des Unbewußtseins, kollektive und persönliche. Da finden auch die religiösen Gefühle ihr Zuhause, und jeder Mensch trägt sie in sich, ob er gläubig ist oder nicht, ob er einer Religionsgemeinschaft angehört oder nicht. Jeder fragt irgendwann einmal in seinem Leben: Gibt es da etwas? Es gehört zu den archetypischen Grundstrukturen in allen Menschen, gehört zum Menschsein.

“Was die schwarzen Gestalten dort auf dem Bild bedeuten, wollen Sie wissen. Sie fragen immer so detailliert. Ich weiß es auch nicht. Ich beginne mein Malen nicht mit einer Entscheidung, was ich nun malen werde, ich beginne einfach. Auf einmal sind es eben schwarze Gestalten. Das ist alles, keine Fragen, oder denken Sie sich was.”

“Für mich unterteile ich die Kunst nicht nach abstrakt und figürlich, wissen Sie, man kann guten Wein aus der Hand trinken, aber auch aus einem wertvollen Glas. Abstrakt kann mich sehr berühren. Doch nicht selten versteckt man hinter der abstrakten Malweise, was man nicht kann, oder auch, was man kann, 'to pretend' is the word I mean. Das ist auch eine Modeströmung, wie so vieles Mode ist. Mode beschwört immer die Gefahr herauf, den Punkt, das geistige Zentrum zu verlieren.”

“Wie ich es mit der Schönheit halte? Fragen sind das! Mit so etwas beschäftige ich mich doch nie! Was hat das mit meiner Malerei zu tun, malen will ich, nicht Haare ihrer Länge nach aufspalten. Das mag ich nicht; 'out of harmony, out of balance'; Schönheit: das Guernica-Bild ist schön, aber es ist nicht 'sweet', verstehen Sie, was ich meine.”

Das ist wunderschön ausgedrückt. Abstrakte Kunst ist keineswegs gleichbedeutend mit Kunst ohne Schönheit. Äußere Schönheit, das wollen wir so schwer begreifen, ist nicht (mehr) ein Kriterium der Kunst. Kunst muß im traditionell-ästhetischen Sinne nicht (mehr) schön sein, nicht heile Welt darstellen, eine Schönheit, die für viele immer noch in der Romantik kulminiert; es gibt eine innere Schönheit, die nicht vordergründig ist, die sich im Werk verborgen hält, eine vergeistigte Schönheit, die sich im ausbalancierten Zusammenspiel von Form und Inhalt, in der Innovation der Arbeit, in der Intensität von Darstellung und Aussage, in der Ausgewogenheit von Einfachheit und Komplexität und schließlich in der 'Numinosität' des Werkes (Peter Killer, Museumskonservator) ausdrückt.

Kunst geht nicht den Weg des Verstandes, Kunst geht den Weg der Seele, sie geht ihn allein, einsam, im Schmerz, im Zorn, im Haß, in Glück, in Gleichklang mit sich selbst, in Liebe. Sie verwandelt die Bilder dieser Welt, streicht sie ein mit den persönlichen Farben aus dem höchst individuellen und subjektiven Farbtopf der Seele des Künstlers, und über seine Arme fließen sie wieder in die Welt hinaus. “Der Bezug zur materiellen äußeren Realität ist nur schwer nachvollziehbar und soll auch nicht unbedingt nachvollzogen werden, denn es wird eine innere Sicht der Dinge gezeigt, die mit einer individuellen Zeichen-, Symbol- und Farbensprache umschrieben wird.” (Johann Widmer, Künstler)

“Was Sie immer alles wissen wollen, ich male, ich sinniere nicht, ich denke nicht nach, ich theoretisiere nicht, ich bin auf Ihre Fragen nicht vorbereitet, alles was ich antworte, ist ins Unreine gesprochen, das kommt von innen, wie meine Bilder, nicht aus dem Bauch, aus meiner Seele.”

Hier scheinen wieder die Grundzusammenhänge der Kunst auf. Kunst ist das Nach-außen-Legen von zuvor nach innen genommenen Bildern.

“Ich bin nur ein Maler, das ist wie ein Kamikaze-Flieger; wenn ich das nicht tue, wenn ich darin nicht erfolgreich bin, dann kann ich nur noch zur Müllabfuhr gehen. Malen ist meine Berufung und daher mein Beruf. Ich male ich, das ist es.”

Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Kufferath von Kendenich, Jahrgang 1939, stammt aus Düren im Rheinland und lebt seit mehr als 30 Jahren in der Schweiz (Trimbach, Kanton Solothurn). Er ist Schriftsteller, bildender Künstler, Kunsttheoretiker, Philosoph und Organist und hat zu diesen Themen mehrere Bücher und Publikationen verfaßt und seine Gedanken auch in einer großen Zahl von Vorträgen im In- und Ausland, u.a. auch in Rundfunk und Fernsehen, dargelegt. Er kennt den Künstler Alexander Zakharov seit einer Anzahl von Jahren persönlich durch viele Gespräche, Atelierbesuche und fachlichen Gedankenaustausch.